kleines Schaf
© Kühn, 2001, V.2.1 Der Haufen Bretter bestellt sich selbst beim Tischler zum Schrank
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Hauptteil

Die Betrachtung der These von der "sozialen Dienstleistung in der stationären Jugendhilfe" möchte ich im Folgenden aus dem Blickwinkel des "Produktionsobjektes", sprich: des familiären Herkunftssystems, vornehmen. Obwohl es sich bei der verwendeten Literatur schwerpunktmäßig um das Thema "Fremdplatzierung in Pflegestellen" handelt, sind die Ergebnisse ohne weiteres auch auf die stationäre Unterbringung übertragbar.

In einer neueren Untersuchung von Josef Faltermeier, die im "Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge" (09/2000, S. 269ff.) veröffentlicht wurde, stehen die Herkunftseltern im Mittelpunkt des Interesses.

Die Ergebnisse dieser Studie sind sehr aussagekräftig: Im Zentrum der Forschung stand dabei die Frage, wie Herkunftseltern die Inpflegegabe ihrer Kinder erleben, welche Veränderungen für sie selbst damit einhergehen und wie sich aus ihrer Perspektive die Interaktion mit dem Jugendamt darstellt.

Der subjektive Erlebenskontext von Herkunftseltern, ob eine Fremdunterbringung als entwertend-entmündigend-stigmatisierend oder entlastend-unterstützend erlebt wird, hängt dabei von drei Faktoren bzw. Fragestellungen ab:

  • Wie wurden in der Vergangenheit Phasen der Belastungen und Krisen, sowie folgende Interventionen von außen erlebt?
  • Was nehmen Herkunftseltern an, wie sich die Gesellschaft/Außenwelt dazu verhält?
  • Welche Haltung nehmen die Fachkräfte der sozialen Dienste und die weiteren beteiligten Akteure in der aktuellen Situation den Herkunftseltern gegenüber ein?
Zudem ist es notwendig, zu klären wie das orientierungsbietende Sinn- und Relevanzsystem bei den Herkunftseltern entstanden ist (Biografiearbeit). Die meisten Herkunftseltern kommen aus sozioökonomisch und soziobiographisch unsicheren Verhältnissen, d.h. es gibt ein starkes Verlangen nach sicheren Verhältnissen. Daraus entsteht ein Spannungsfeld zwischen:
  • materieller Sicherheit und der Verwirklichung nicht realisierbarer Wünsche, die kompensatorisch wirken sollen, und
  • emotionaler Sicherheit, die im System Familie immer wieder zu Überforderungen führt oder sogar durch eine Herausforderung dessen aufs Spiel gesetzt wird.
Die Gestaltung der Kontakte zum sozialen Dienst oder der einbezogenen Einrichtung werden i.d.R. als bittstellend und abhängig erlebt. Ihre (die, der Herkunftseltern) Möglichkeiten, eigenständig und ihren Interessen entsprechend zu handeln, sind äußerst begrenzt. Lebensverläufe von Herkunftseltern vor einer Fremdunterbringung zeigen selbst Unordnung, Diskontinuität und Mangelerfahrung, die nur begrenzt durch eigenen Einfluss verändert werden konnten, so dass die Abhängigkeit von defizitären soziökonomischen und soziobiographischen Bedingungen fortbesteht.

Herkunftseltern gelingt es selten, sich daraus zu befreien. Oft wirken Eingriffe von außen (z.B. Fremdunterbringung) eher verstärkend, eskalierend. Diese Fragestellung wurde schon in den 70er Jahren von Erving Goffman problematisiert: Er beschrieb einen geschlossenen Bewußtseinskontext (zwei, z.B. JA und Einrichtung, verbinden sich gegen einen Dritten, die Herkunftseltern) im Rahmen der Kritik an einer Einrichtung als Institution der Gewalt.

Die stationäre Unterbringung von Kindern bedeutet Autonomieverlust der Herkunftseltern. Die Fremdunterbringung führt zur Negierung ihres Lebenskontextes und Zusammenbruch ihres eigenen Sinn- und Relevanzsystems. Herkunftseltern haben erheblichen Mangel an besonders vertraulichen Beziehungen. Faltermeier spricht an dieser Stelle von der Notwendigkeit der Existenz eines "SIGNIFIKANT ANDEREN", als biografischen Begleiter und Berater des Herkunftssystems, aber wer kann dies im professionellen Kontext sein?!

Die Zusammenarbeit zwischen Helfer- und Herkunftssystem hat somit einen überwiegend zwangskommunikativen Charakter. Wichtige Voraussetzung für die Mobilisierung von Ressourcen bei Herkunftseltern ist deshalb folgendes:

  • Herkunftseltern müssen erkennen können, wann sich ihre Kinder in gefährdenden Situationen befinden
  • Herkunftseltern müssen zum anderen die Fähigkeit entwickeln, die Perspektive ihres Kindes zu übernehmen
  • Herkunftseltern müssen in der Lage sein, ihr Handeln vor dem Hintergrund der Gefährdungen und der Interessensdefinition des Kindes zu reflektieren
Herkunftseltern sind bereit, Hilfsressourcen zu mobilisieren, wo sie Gefährdungssituationen für ihre Kinder erkennen, so wie sie es definieren und beschreiben können. Diese Erkenntnisse erfordern eine völlige Neuüberdenkung der Intervention sozialer Dienste und der Realisierung stationärer Unterbringung!

Ob Ersatz oder Ergänzung und für welchen Zeitraum und welche Phase des Pflegeverhältnisses, das bestimmen die beteiligten Eltern und Kinder. Die Fachkräfte der sozialen Dienste haben für diesen Interaktionsprozess günstige Rahmenbedingungen herzustellen; dies ist zuallererst ihre Aufgabe, und dies verlangt eine hohe professionelle Kompetenz.

Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Problematiken, die zur Inpflegenahme von Kindern führen, eine Schuldzuweisung an die Adresse der Herkunftseltern nicht rechtfertigen. Deshalb kann ihnen auch nicht ein Interesse an ihren Kindern und eine aktive Mitbeteiligung am Pflegeverhältnis abgesprochen werden.

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