Kinder an die Macht!

(Der ganze Artikel, Quelle: Bremervörder Zeitung, 14.03.2001)

...oder

"Wie die deutsche Industrie auf den Hund [äh, Entschuldigung!] DAS KIND kommt!"

Es war nur eine kurze Kurzmeldung...- zunächst überlesen (ich war schon auf der ganzseitigen ALDI-Anzeige des Lokalteils ;-) ), als eine meiner hinteren Hirnregionen Alarm schlug! "Gehirn an Feinmotorik...- Gehirn an Feinmotorik...- Zurückblättern!" Gesagt, getan: Stirnrunzeln - Innehalten - Nachdenken - "Sheep Award" verleihen... fertig!

Nun ja, es lief nicht ganz so glatt, die Überschrift ging erst mal runter wie Butter, aber dann kam ein großes Fragezeichen (?):

Liebe Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft (SddW),
was hat Euch eigentlich dazu getrieben, Euch des Themas "Kinderfreundlichkeit" anzunehmen? Nein, nicht nur anzunehmen, Ihr mahnt es sogar an! Adresse soll wohl die rot-grüne Bundes "wir-möchten-so-gerne
-Kinderfreunde-sein" regierung sein, oder?! Lasst es, die streiten sich gerade um 30 oder 300 DM Kindergelderhöhung pro laufendem Meter auf zwei Beinen und Monat, die haben jetzt keine Zeit für Grundsatzdiskussionen! (BTW, wo wart Ihr mit Eurer Mahnung eigentlich in den 16 Jahren vor 1998, als die KinderfreundInnen von Gottes Gnaden [klingonischer Fachausdruck, dt. Übersetzung: "CDU/CSU/FDP"] regierten??? Na?)

Ich weiß, ich weiß, da hattet Ihr wichtigere Themen, nicht wahr?! Aber nach so langer Zeit der Untätigkeit plagt Euch jetzt das (soziale) Gewissen und Ihr wollt Abbitte leisten. Ehrenhaft.

Liebe SddW, Kinderfreundlichkeit mahnt Ihr an und meint damit (halb-)staatliche tägliche Trennung von Kindern von ihrem Herkunftssystem in Gestalt von Kinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen. Das klingt nach Verhältnissen in Deutschland-Ost vor 1989. Sollte im realkrepierten Sozialismus doch nicht alles verwerflich gewesen sein?! Sorry, das ist doch keine Antwort auf die Frage nach "Kinderfreundlichkeit". Wenn überhaupt, ist es der fünfte Schritt vor dem ersten.

Eine kinderfreundliche Gesellschaft macht zuallererst Gewalt (in jeglicher Form) gegen Kinder strafrechtlich verboten! Eine kinderfreundliche Gesellschaft beteiligt Kinder an allen, sie betreffenden, Entscheidungen! Eine kinderfreundliche Gesellschaft kümmert sich um eine umfassende materielle, schulische und psychosoziale Versorgung jedes einzelnen Kindes! Und ich meine das wörtlich: JEDES Kindes! Dann ist es auch nicht mehr möglich, dass ein Kind 10 Jahre unter entsetzlichen Bedingungen aufwachsen muss, schwerste körperliche Misshandlungen und Traumatisierungen erleiden muss, unter den Augen von Nachbarschaft, Schule, Ärzten, Polizei und Behörden, ohne dass ihm geholfen wird. "Sowas gibt es nicht!", meint Ihr, liebe SddW? Doch, und ich könnte Euch aus dem Stand ein Dutzend anderer Beispiele nennen. Deshalb ist mein Verständnis von "Kinderfreundlichkeit" auch so verschieden von Eurem.

Verstanden? Liebe SddW, der Verdacht schleicht sich ein, dass Ihr ganz andere, hintergründige Interessen verfolgt. Die Verfügbarkeit von elterlicher Arbeitskraft, wenn die lieben Kleinen nur versorgt sind, könnte an eine erweiterte Einbindung von Arbeitsressourcen erinnern. Wenn Mama oder Papa nicht auf den/die liebe/n Kleine/n aufpassen müssen, können sie auch ordentlich arbeiten, aber für wen bei immer noch rund 4.000.000 Arbeitslosen in diesem Lande?!

Letzte Fragen vor der Preisverleihung, liebe SddW: Warum nur diese kurze Kurzmeldung bei dpa? Es hätte doch der Headliner in der BILD-Zeitung werden können, oder? Oder hat Euch die eigene Courage doch am Ende noch einen Tritt gegen das mentale Schienbein beschert?

"Wenn Ihr doch geschwiegen hättet...", liebe SddW. Jetzt habt Ihr den Salat! Herzlichen Glückwunsch, liebe SddW, zum Goldenen Schaf #4!

© M. Kühn, 05/2001

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