"Deutschland, Deutschland, Deine Kinder, soll'n in Zucht und Ordnung steh'n!"

Ich muss mich outen: Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich unvermummt eine B***-Zeitung gekauft! Es geschah vor 5 Wochen (solange hat es gedauert, bis ich mich von diesem Schock erholt habe ;-)!), ich stand frühmorgens an der Tankstelle, um meine wöchentliche Ration an "Fisherman's Friends" zu erwerben, da kam es zu dieser schicksalshaften Begegnung der 3. Art:
Direkt vor mir, an der Kasse, die Riesenschlagzeile: "Deutsche sollen Kinder strenger erziehen...", DAS musste ich einfach kaufen! Dann beim Bezahlen: HUCH, 0,80.-DM?! Ich dachte immer, mensch bekäme dieses bodenständig-wirtschaftswunder-bundesdeutsche-überaus-grundsätzlich-durchgeschwärzte Druckerzeugnis hinterhergeworfen?! Na ja...
Nix da, also brav bezahlt...

Liebe Frau Schröder-Köpf,
diese Überschrift mußte ich erst einmal in Ruhe auf mich wirken lassen.

O.k., fangen wir an:
Ist dies der heimliche sozialdemokratische Beitrag zur unsäglichen Leitbilddiskussion der Union?
Ist die Bevölkerung in Deutschland eine der letzten antiautoritären Bastionen, die es zu knacken gilt?
Fehlt den Kindern in diesem Lande als allererstes wirklich die elterliche Strenge?

Ich muss gestehen, es läuft mir eiskalt über den Rücken, wenn ich so etwas lese. In einer erst kürzlich veröffentlichten Studie zur Situation von Kindern und Jugendlichen im Landkreis, in dem ich lebe, heißt es, dass 80% der Kinder und Jugendlichen Gewalterfahrungen unter Gleichaltrigen machen. Ich bezweifel dies, auch aus meiner beruflichen Erfahrung heraus, denn den größten Anteil an physischer und psychischer Gewalt müssen Kinder immer noch im familiären Kontext erdulden, oder nicht?! Und dies dürfte nicht nur für diesen unseren Landkreis gelten...
Vor noch gar nicht solanger Zeit ließ eine ehemalige Familienministerin über die Presse verbreiten, dass "ab und zu ein Klaps auf den Po nicht schlimm ist!". Prima, ich frage mich nur, warum dann nicht auch körperliche Gewaltanwendungen unter Erwachsenen legitim sind?! Und selbst ein Vortragsmotto "Kinder brauchen Grenzen!", das an sich ja überhaupt nicht falsch ist, führt auf einem Elternabend im Kindergarten, den ich als Elternteil besucht habe, unreflektiert zur Bestätigung des Missverständnisses bei verschiedenen Vätern und Müttern, dass elterliche Gewalt an Kindern also "richtig" sei.

Ein weiterer Aspekt kindlicher Zwangsrealitäten ist die materielle Armut. Ein nicht unerheblicher Teil der Menschen unter 18 Jahren in diesem Land muss an der Armutsgrenze leben. Die haben andere Probleme, als sich nach elterliche Strenge zu sehnen! Diese Kinder müssen von klein auf am Existenzminimum leben, d.h. die Selbstwahrnehmung des eigenen Seins verkommt zum Existenz- bzw. Überlebens-Kampf! Was meinen Sie, was ein arbeitsloser Vater von drei Kindern, der sich Sorgen macht, wie er die Miete für den nächsten Monat zusammenbekommen soll, unter elterliche Strenge versteht und praktiziert?! Und wie wollen Sie dies den drei Kindern verständlich machen?!

Wie ich lesen konnte, Frau Schröder-Köpf, sind Sie Schirmherrin des Kinder- und Jugendtelefons "Nummer gegen Kummer". Sie dürften sich und diesem Dienst mit der von Ihnen angezettelten Diskussion einen Bärendienst erwiesen haben. Es ist Ihnen nicht gelungen, den Begriff "Strenge" zu definieren. Handyverzicht und früh ins Bett gehen können allenfalls als Konsumverzicht stehen gelassen werden. "Wir müssen unseren Kindern Werte vermitteln", schreiben Sie, da kann ich Sie beruhigen, dass tun Eltern immer und überall. Ist nur die Frage, ob das dieselben Werte sind, die Sie im Kopf haben. Kinder brauchen keine strengen Eltern, sondern Eltern, die ihnen Orientierung, Geborgenheit und Liebe vermitteln! Eltern, die vermitteln, dass die Würde JEDES Menschen unantastbar ist, das gilt auch für Menschen unter 1,50m! Das hat mit Strenge alles nichts zu tun...

Strenge ist die kleine Schwester von Herrschaft und Gewalt, die Erwachsene an Kindern ausüben.

Alternativvorschlag für zukünftige Aktionen Ihrerseits: Setzen Sie Ihre Energie und gesellschaftliche Stellung doch lieber für die Sorge um die Einhaltung der UNO-Kinderrechtskonvention ein, die auch von der BRD unterzeichnet wurde. Zur Erinnerung, den Inhalt finden Sie z.B. unter http://horizons.org/de/hintergrund/allgemein/konvention.shtml! Das zumindest kann Ihrem Ruf als Schirmherrin eines Notruftelefons für Kinder und Jugendliche nicht schaden.

Liebe Frau Schröder-Köpf,
da haben Sie ja wirklich in die Vollen gelangt! Im Fettnapf hat es jedenfalls richtig hörbar "PLATSCH!" gemacht!

Etwas Gutes hat das Ganze jedenfalls: Das Goldene Schaf #5 hat jetzt ein Zuhause und pendelt zwischen Hannover und Berlin! Herzlichen Glückwunsch!

© M. Kühn, 06/2001

Hier gehts zum Schafstall, ähh, Archiv der Goldenen Schafe...