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© Kühn, 2001, V.2.1 Die Angst der Parkuhr unterwegs einem Eisberg zu begegnen...
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Die Kunst des Verstehens

In den letzten Jahren haben sich für mich zwei Vorgehensweisen bewährt, um zur Gestaltung einer humanen, Ich-Du-orientierten (M. BUBER: Der Mensch wird am Du zum Ich) Beschreibung einer Hilfemaßnahme im Sinne des KJHG zu gelangen. Ausgangspunkt waren dafür zwei Fragestellungen:

  • Was ist das eigentliche, ursprüngliche Problem des Kindes und welche Faktoren führen eventuell zu einer Problemstabilisierung oder -eskalation?
  • In welcher Form sind subjektorientierte Haltungen und Einstellungen Bestandteil einer angemessenen Hilfe- und Maßnahmenplanung?

(Ich möchte darauf hinweisen, dass diese Web-Seite nicht den Anspruch hat, eine umfassende Einführung in die benannten Methoden zu bieten. Weiterführende Hinweise, Anleitungen und Vorgehensweisen sind der entsprechenden Fachliteratur zu entnehmen!)

Beginnen wir mit einer Antwortmöglichkeit auf die erste Frage:

a) Die rehistorisierende (verstehende) Diagnostik

Die Methode der rehistorisierenden Diagnostik wurde von Prof. W. Jantzen, Universität Bremen, entwickelt. In Anlehnung an führende Theorien der kulturhistorischen Schule verfolgt sie das Ziel, die Auffälligkeiten im Sein und Verhalten eines Menschen umfassend zu rekonstruieren. Bislang wurde sie besonders auf den Umgang und die Arbeit mit behinderten Menschen angewandt, die auch in den entsprechenden Einrichtungen zum sogenannten harten Kern gehören. Dort hat sie sich nachweislich bewährt.

Ich halte es für erfolgversprechend, diese Methode auf den Bereich der Hilfen zur Erziehung zu übertragen. Die Frage, was die eigentliche Problemstellung eines Kindes in öffentlichen Kinder- und Jugendhilfemaßnahmen ist und welche Faktoren problemverstärkend hinzukamen, kann so damit geklärt werden.

Mit dieser Sichtweise und Methode ist es möglich, die kindliche Verhaltensauffälligkeit (oder die eigentliche Problemdefinition), sozusagen herauszuschälen und neuzudefinieren. Die Bestimmung von reaktiven und/oder projektiven Maßnahmen und Interventionen kann so neu zugeordnet oder auch verworfen werden. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Methode ist die notwendige dialogische Begegnung zwischen diagnostizierender und zu diagnostizierenden Person. "Denn damit hört die jeweilige Geschichte auf, nur als einzelne, von uns unverstandene Geschichte zu existieren. Durch die Einführung des Syndroms, und damit des Wissens über das Syndrom, wird sie zu einer besonderen Geschichte. Was bedeutet es, unter Bedingungen dieses Syndroms Mensch zu sein, welche Auswirkungen also hat das Syndrom auf die Entwicklung der Persönlichkeit?" (JANTZEN, 1999) Ich bekomme als Fachkraft dadurch also die Möglichkeit, mir die unterschiedlichen Bedingungen in der kindlichen Entwicklung neu zu erschließen und sie als individuell sinnstiftend und logischen Prozess der Persönlichkeitsentwicklung zu begreifen, diese hätte unter entsprechenden Bedingungen auch meine eigene Entwicklung sein können. "Ebenso wie Blindheit oder Gehörlosigkeit das Verhältnis zu den Menschen und zur Welt auf spezifische Weise ändern, so geschieht dies auch durch unterschiedliche organische Veränderungen des ZNS." (JANTZEN, ebd.) Oder eben auch durch kindliche Schlüsselerfahrungen wie physischer oder psychischer, lebensbedrohender Gewalt, sexuellem Missbrauch oder Deprivation. Diese Neudeutung des Entwicklungsprozesses wird so dem/der Betroffenen helfen, sich anders verstehen und begreifen zu können.

Es ist leider Tatsache, dass Hilfen zur Erziehung (im Sinne des KJHG) nicht immer unbedingt problemlösend wirken. Es gibt berechtigte Hinweise, dass sie zur Problemstabilisierung, aber auch Problemeskalation führen können. Bedingt durch politische und fachlich-pädagogische Vorgaben können Maßnahmen in Hilfen zur Erziehung so auch kontraproduktiv wirken. Es liegt in unserer Verantwortung, als professionelle Fachkräfte, diesem pädagogischen blinden Fleck ein Ende zu bereiten, denn "sehr häufig liefern langjährige Akten kaum mehr als Beschreibungen einer ausweglosen Situation des Personals denn valide Verhaltensbeobachtungen." (JANTZEN, ebd.) Dies passiert nicht nur in Behinderteneinrichtungen, sondern auch im Kinder- und Jugendhilfebereich. Die aktenkundige Nichttragbarkeit eines Kindes z.B. im schulischen oder Einrichtungskontext kann dann nicht mehr allein an der individuellen Bedingtheit des Kindes festgemacht werden, sondern muss auch zu einer kritischen Überprüfung des professionellen Systems kommen. Wir sind in der Pflicht, zu kontrollieren, wo wir im Sinne institutioneller oder struktureller Gewalt verantwortlich sind, um darauf bezogen eine Neuorientierung userer Hilfeangebote auf den Weg zu bringen.

In den verschiedenen Angeboten unserer Einrichtungen muss ein Bewusstsein wachsen, dass die Kinder, die wir betreuen und begleiten, nur so leben und sozial (re-)agieren können, wie ihre eigene Überlebensgrundlage es nötig und sinnvoll macht, mit allen ihren unkonventionellen Lösungen.

Nur dann können MitarbeiterInnen die richtigen Interventionen zum positiven Entwicklungswachstum der anvertrauten Kinder gewährleisten. Und dies wird durch eine rehistorisierende Diagnostik gesichert.

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