(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors!)
"Gewalt lässt sich beeinflussen"
Vortrag von Karl Gebauer,
gehalten in Waiblingen am 4.11.02
Vorbemerkungen
Von der Geiselnahme in der Friedensschule erfuhr ich am 18.10.02 als ich kurz vor Mitternacht
das Fernsehgerät einschaltete. Ich war in Emden und hatte nach einem Vortrag mit dem Thema "Kinder brauchen
Wurzeln" noch lange mit den Teilnehmern diskutiert. Am nächsten Tag folgte ein Workshop mit Sozialpädagogen
zum Thema "Erfolgreicher Umgang mit Gewaltsituationen" in der Schule. Den ganzen Tag über ließ mich das
Ereignis nicht los. Abends kaufte ich mir auf der Heimfahrt die Tageszeitung, sah auf der Titelseite die
besorgen Gesichter von Eltern, deren Kinder in der Gewalt des Geiselnehmers waren. Von diesem Augenblick an
hatte das Drama für mich ein Gesicht bekommen. In den folgenden Tagen habe ich in der Presse Einzelheiten und
die Interpretationen der Geiselnahme verfolgt. Seit ich zu dieser Veranstaltung eingeladen wurde, habe ich
regelmäßig die Waiblinger Kreiszeitung erhalten und dort die umfassende und - wie ich finde - sehr sachliche
Berichterstattung verfolgt.
I. Emotionale Kompetenz - Grundlage für das Lösen von Konflikten
Ich bin - wie wir vermutlich alle - über den Ausgang dieses Dramas sehr
erleichtert. Wenngleich es für die Opfer, deren Angehörige und auch für den Geiselnehmer
sicherlich eine lebenslange Nachwirkung haben wird. Ich habe der Berichterstattung u.a. entnommen, dass das
Vorgehen der Polizei in Kooperation mit Lehrern, dem Schulleiter der Schule und auch mit der Wohngruppe, in
der Marcel gewohnt hat, sehr kompetent und damit letztlich sehr erfolgreich war.
Emotionale Kompetenz & zugewandte
Kommunikation
Das Drama konnte zu einem gute Ende geführt werden, weil alle Personen, die an der Lösung
beteiligt waren, ein hohes Maß an emotionaler Kompetenz besaßen. Dazu gehört eine klare Analyse der Situation.
Die Bedeutung dessen, was da geschehen war musste analysiert und interpretiert werden, und es mussten die
richtigen Schritte eingeleitet werden. Ein wichtiger Aspekt des besonnenen Vorgehens lag drin, dass
offensichtlich alle Beteiligte den Beziehungsfaden in die Verhandlungen einbezogen haben. Das
war vor allem deswegen möglich, weil sowohl bei der Polizei, der Schulleitung, bei den
Bewohnern und Betreuern der Wohngruppe, in der Marcel gelebt hat, die große Bedeutung einer zugewandten
Kommunikation bekannt waren. Gründe dafür sind sicherlich auch darin zu suchen, dass im Rahmen der in der
Region geleisteten Präventionsarbeit die Bedeutung von Klärungsgesprächen bekannt war. Ein wichtiger Grund
lag sicherlich auch darin, dass der Geiselnehmer - bei allen Beschwernissen, die ihm sein Leben beschert
hatte - selbst die große Bedeutung emotional tragender Beziehungen erfahren haben musste. Es muss im Leben
von Marcel Menschen gegeben haben, die ihm zugewandt waren und Interesse an ihm und seinem Lebensschicksal
hatten. Nur dann, wenn ein Mensch die Erfahrung gemacht hat, dass ihm Verständnis und Mitgefühl
entgegengebracht wurden, kann er ein inneres Bild von Empathie entwickeln und in kritischen Situationen
seines Lebens drauf zurückgreifen. Das dürfte hier geschehen sein.
Perspektiven gelingender
Erziehung
Ich bin gebeten worden, Ihnen vor diesem Hintergrund unter Einbeziehung
meiner praktischen und theoretischen Arbeit Perspektiven für eine gelingende Erziehung
aufzuzeigen, damit sich solche Ereignisse möglichst nicht wiederholen können.
Viele Kinder und Jugendliche leiden darunter, dass es in ihrem Leben keine ausreichende
emotionale Beziehung gibt, die ihnen ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt. Dabei sind sichere emotionale
Bindungen an mindestens eine Person Voraussetzung für eine gelingende Entwicklung und dafür, dass ein Mensch
sein Leben angemessen gestalten kann. Wird in den Familien diese Voraussetzung nicht geschaffen, so kommen
auf Erzieherinnen, Lehrer und Lehrerinnen besondere Aufgaben zu. Prinzipiell gilt, dass wir alle ein Leben
lang auf positive emotionale Beziehungen angewiesen sind, wie immer unsere Ausgangslage gewesen sein mag.
Im folgenden möchte ich aufzeigen, wie zum Beispiel in der Schule diese
Aufgabe erfolgreich umgesetzt werden kann. Ich möchte Ihnen aber vor allem zeigen, was sich im Innenleben
von Kindern abspielt, die Gewalt zur Lösung ihrer Probleme einsetzen.