kleines Schaf
© Kühn, 2001, V.2.1 Was habt Ihr da über mich geredet?
Inhaltsverzeichnis: Home |  News |  Prolog |  Dokumente |  Links |  Medien |  Das Letzte |  Impressum
Navigation: -> Startseite     -> Dokumente      -> Was habt ihr...      -> S.2     -> S.3

E-Mail

Nur mal angenommen... (KJHG § 8)

...das Kind, der/die Jugendliche nimmt tatsächlich an allen Entscheidungsprozessen im Hilfeprozess teil?

Ich würde mal schlichtweg behaupten, dann hätten wir ein Problem. Wirklich! Wir würden nämlich oft einfach nicht verstanden werden! Manche Hilfeplangespräche erinnern mich an eine Babylonische Sprachenverwirrung im Kleinformat. Wie schnell geschieht es, dass wir Professionellen ganz einfach an unserem Gegenüber vorbeireden. Wir geben uns damit zufrieden, dass alle Beteiligten abnicken und gehen dann ins Alltagsgeschehen zurück. Hinterher bemängeln wir die mangelnde Kooperationsbereitschaft unserer Klienten, aber nehmen unsere eigenen blinden Flecken nicht wahr. Natürlich treffen sich alle im nächsten Hilfeplangespräch wieder, unter erhöhtem Druck werden Ziele neuformuliert, vielleicht auch Konsequenzen, z.B. die Umwandlung einer teilstationären Maßnahme in eine stationäre, angedroht und wieder wurde ein Stückchen mehr an der Spirale gedreht. Unterwegs sind die meisten Kinder und Jugendlichen längst innerlich und räumlich ausgestiegen, ohne das es groß aufgefallen wäre.

Schwarzmalerei?

Ich habe selber genug Hilfeplangespräche erlebt und mitgestaltet, die ähnlich verliefen.Wenn wir es ernst mit unserem Anspruch auf kind- und klientenorientierte Hilfeplanung meinen, muss unser Denken die Richtung wechseln. Im Gesetzestext heißt es, dass die Kinder und Jugendlichen ihrem Entwicklungsstand entsprechend beteiligt werden sollen. Da ist nicht die Rede davon, ob Kinder und Jugendliche beteiligt werden können. Nein, das wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Frage muss also lauten, wie geschieht es...

So haben wir in unserer Einrichtung begonnen zu experimentieren. Ich möchte nicht verschweigen, dass dies oft gegen den ausdrücklichen Widerstand der Kinder und Jugendlichen geschah: "Da will ich nicht hin, das ist mir zu langweilig!", "Ich muss immer weinen, wenn ich meine Mama sehe!", "Ich darf ja doch nicht nach Hause!", "Ich habe Angst!" sind nur ein kleiner Ausschnitt aus den Reaktionen, die geäußert wurden. Die Bedrohung, die Angst vor Ineffizienz und das Vermeiden von Schmerz, Trauer und Wut haben wir ernst genommen, haben neue Verfahren erdacht und erprobt. Ergebnis ist, dass immer mehr Kinder und Jugendliche die Hilfeplanung als Forum zur Vertretung ihrer ureigensten Interessen entdecken. Einige Beispiele möchte ich im folgenden benennen.

Als eine Kollegin zum ersten Mal eine Handpuppe, in Gestalt der kleinen Maus "Flax", mit in ein Hilfeplangespräch nahm, habe ich ihren Mut bewundert. Wir wussten, dass dieses Gespräch sehr belastet sein würde, es ging um Trennung, um Abschied-Nehmen, um eine ungewisse Zukunft. Der kleine Junge war bei diesem Gespräch die ganze Zeit dabei. Ich hatte Befürchtung, dass die Handpuppe eine lächerliche, nicht-ernstnehmende Komponente in das Gespräch bringen würde. Ich hatte mich getäuscht! Das Gespräch bot alles, was wir erwartet haben: Trotz, Tränen, Verletzung und Hilflosigkeit. Die kleine Maus wurde aber zur zentralen Figur, sie redete mit allen Beteiligten, stellte eindeutige Fragen und bekam eindeutige Antworten, konnte frech, direkt und ehrlich sein. Ohne sie wäre das Gespräch anders verlaufen, der Junge hätte sich wahrscheinlich nicht so öffnen können, wie er es getan hat, die Erwachsenen hätten vermutlich nicht so deutlich benannt und formuliert, wie es von ihnen erwartet wurde.

Mittlerweile gibt es in dem Team eine ganze Reihe verschiedener Tierhandpuppen. Die Kinder können sich vor dem Gespräch eine auswählen, von der sie sich am besten unterstützt wissen. Ein 8-jähriger wählte einmal eine kleine Stoffbiene, damit die Frau vom Jugendamt mal so richtig gestochen wird!, ich habe ihn selten so selbstbewusst in einem Kreis von Erwachsenen erlebt!

Eine andere Form, die wir praktizieren, ist, dass Kinder und Jugendliche eine UnterstützerIn mitbringen können. Dies kann die LieblingslehrerIn, eine FreundIn oder sonstige Vertrauensperson sein. Das Gefühl, dem ganzen nicht nur hilflos ausgeliefert zu sein, überwindet die Angst, die eigene, kindliche Position miteinzubringen. Es war beeindruckend, wenn z.B. dann eine Schulfreundin jede Sache, die sie nicht verstanden hat, keck nachfragte. Die Erwachsenen waren so gezwungen, ihre Aussagen zu reflektieren, neu zu formulieren oder aber auch zu korrigieren. Der Hilfeplan wird so ein Stück zum öffentlichen Raum und muss sich vor dieser Öffentlichkeit bewähren.

Natürlich geschieht es immer noch, dass Kinder diesen Raum für sich nicht nutzen können oder wollen. In der Vorbereitung auf das Hilfeplangespräch können sie aber mit ihrer BezugsbetreuerIn ihnen wichtige Standpunkte erarbeiten. Die Ergebnisse werden dann z.B. in einem Brief oder Bild festgehalten. Die BezugsbetreuerIn übernimmt dann die Rolle der BotschafterIn, um die Themen und Anliegen des Kindes aktiv und parteiisch im Hilfeplangespräch zu vertreten.

Der Begriff der Partizipation ist in Mode gekommen, und das ist gut so! Der Ausschluss von Kindern und Jugendlichen von den Entscheidungen über ihre Belange, ihre Zukunft ist eine Form angewandter Gewalt (s.o.!), auch in unseren Einrichtungen. Allzuschnell rechtfertigen wir uns damit, eine Beteiligung sei zu belastend, zu uninteressant, zu unwichtig. Dabei ist es meist eigene Hilf- und Fantasielosigkeit, Unfähigkeit mit negativen Reaktionen umzugehen oder einfach nur die professionelle Angst vor dem Un-Sagbaren, das zur Sprache kommen könnte.

Der anfangs erwähnte Dialog darf nicht zu einem Monolog der Professionellen verkommen. Unsere Kreativität, unser Wissen, unsere Risikobereitschaft ist gefragt, um der Hilfeplanung den Charakter des Herrschaftsinstruments zu nehmen. Wenn dann, wie ich es letztens erleben durfte, ein Jugendlicher sich das letzte Hilfeplanprotokoll noch einmal kritisch vornimmt, die einzelnen Aspekte mit dem heutigen Stand vergleicht und für das nächste halbe Jahr zwei konkrete Ziele für sich benennt, ist dies für mich ein Stück realgewordener Vision, wie sie im KJHG zum Ausdruck kommt.

...hier geht's weiter: Seite 4!

Schaf
dot
[Home] [News] [Prolog] [Dokumente] [Links] [Das Letzte] [Impressum]